“Grenzüberschreitungen”

“Teststrecke Kunst. Wiener Avantgarden nach 1945” – Panel-Block II

21. – 23. Oktober 2009, Österreichische Akademie der Wissenschaften

Radikale Kritik an gesellschaftlichen Zuständen und die Forderung nach deren Transformation, aber auch Radikalität der Mittel waren stets Synonym für Avantgarden und damit zahlreiche Dimensionen von„Grenzüberschreitung“: Überschreitung des traditionellen oder als Autopoiesis neu bestimmten Funktionssystems Kunst durch Kunst als Lebenspraxis, Kunst als politische Intervention, Aufhebung der Kunstsparten, der Trennung von KünstlerIn und Publikum, Überschreitung der Orte und Institutionen der Kunst, „Erweiterungen“ im Sinne von „Expanded Cinema“ oder „Alles ist Architektur“, Übergänge / Öffnung der Kunstpraxis in Richtung Theorie, Wissenschaft, Kritik, Vermittlung, bis hin zur Auflösung der Grenzen von Kunst zu Alltag, Design, Kitsch oder Unterhaltung.

Unter diesen Paradigmen, die in den Wiener Avantgarden zwischen 1950 und 1975 angelegt und praktiziert wurden, erwiesen sich zwei Richtungen als grundlegend für spätere Entwicklungen und Trends: der Einsatz des Körpers und die Arbeit mit neuen Medien, teilweise bereits in Verschränkungen, die die gesellschaftliche Kodierung des Körpers und die Materialität der Medien inszenierten, lange vor der konstruktivistischen Wende von Körper und Gender und vor der Verbreitung von Computer und Internet.

In diesem Panel-Block ging es um Fragen wie:

Welche Konzepte unterschiedlicher Reichweite zur Auflösung des traditionellen Kunstbegriffs waren in den verschiedenen Strömungen der Wiener Avantgarde am Werk?

Wo wurden – bereits in der Selbsttheoretisierung der Wiener Avantgarde und in den folgenden „geschlossenen Erzählungen“ – die feinen Unterschiede wieder verwischt, etwa zwischen Wiener Gruppe und Aktionismus, zwischen letzteren und den intermedialen Interventionen von Valie Export und Peter Weibel?

Oder innerhalb der Wiener Gruppe zwischen Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Oswald Wiener oder Reinhard Priessnitz?

Zwischen Sprachkritik als fundamentaler Medien-, Institutionen- und Staatskritik und den „praktizierten“ Überschreitungen gesellschaftlicher Tabus im Einsatz des Körpers bis zur Selbstverletzung, der Tötung von Tieren, zum Orgien- und Mysterientheater oder den Kommune-Utopien von freier Sexualität und Abschaffung des Privateigentums?

Wie sind die Aktionen des Protestes, der Provokation und Tabuverletzung in einem psychoanalytischen Kontext zu sehen?

Wie im politischen Kontext, der sich gegen Ende einer spezifischen Wiener Avantgarde um 1968 formierte?

Welche Bedeutungsverschiebungen ergeben sich heute durch Archivierung und Musealisierung der Avantgarden?

Welche uneingelösten Programme könnten sich aus einer Re-Lektüre der Wiener Avantgarden ergeben?