Leitfragen Avantgarden in Österreich

Verena Krieger / Universität für Angewandte Kunst Wien, Abteilung Kunstgeschichte
● Gibt es eine Rezeption der historischen Avantgarden/klassischen
Moderne, welche Referenzen werden bevorzugt, gibt es einen Austausch darüber?
● Lassen sich strukturelle Parallelen in verschiedenen
Künsten/Kunstgattungen jenseits von personellen Überschneidungen herausarbeiten?
● Gibt es strukturelle Gegensätze zwischen künstlerischen
Positionen/Gattungen?
● Gibt es überhaupt so etwas wie einen kleinsten gemeinsamen Nenner?
● Wie kann ein Avantgardebegriff aussehen, der inhaltlich tragfähig ist, die Vielfalt der Erscheinungen nicht in ein aufoktroyiertes Korsett sperrt und trotzdem nicht von allgemeiner Beliebigkeit?

Bernhard Fetz / Österreichisches Literaturarchiv
● Was sind die Besonderheiten der österreichischen Avantgarde nach 1945 im Vergleich mit der internationalen Avantgarde, insbesondere im Vergleich mit Deutschland?
● Wie stellt sich das Verhältnis von politischer Avantgarde und ästhetischer Avantgarde in Österreich dar?
● Welches sind die historischen Bezugspunkte, Richtungen (z. B.Expressionismus, Surrealismus) und einzelne Personen (z.B.Gertrude Stein), und wie verlief die Rezeption (Zeitschriften, Personen, Institutionen)?
● Was bedeutet heute der Begriff „österreichische Avantgarde“? Welche Wirkungen, ästhetisch, politisch, institutionell hatte die Nachkriegsavantgarde und was folgert daraus für einen revidierten Avantgardebegriff?

Sighard Neckel / Universität Wien, Institut für Soziologie
● Welche sind die sozialen und ästhetischen Grenzziehungen nach innen, durch die sich Avantgarden als exklusive Gruppen konstituieren?
● Welche sind die möglicherweise korrespondierenden Wahrnehmungen von außen, die sich auf Avantgarden richten?

Hartmut Krones / Universität für Musik und Darstellende Kunst, Institut für musikalische Stilforschung
● Wie unterscheiden sich die Avantgarde-Begriffe in den verschiedenen Künsten?
● Was heißt zu welcher Zeit „Avant-“.
● Und: heißt es das jeweils für alle Vertreter derselben Disziplin oder gibt es jeweils unterschiedlichste Meinungen?
● Wieviel Provokations-Elemente muss eine Avantgarde haben, damit sie auch wirklich Avantgarde ist? Oder genügt einfach etwas Neues (auch wenn es nur langweilig ist)?

Johann Holzner / Brenner Archiv Universität Innsbruck mit seinem Team Christine Riccabona, Verena Zankl, Ingrid Fürhapter
● Rezeption und Resonanz der “Wiener Avantgarden” im Westen Österreichs: Ausstrahlung und Wirkung avantgardistischer Strömungen wie auch einzelner Künstler und Künstlerinnen in Tirol und Vorarlberg
– produktive Rezeption: Was wurde wie aufgenommen? Welche Wirkung zeigte es?
– Ablehnung: Was wurde ausgegrenzt und abgewehrt, d. h. negiert und bewußt in kulturkonservativer Polemik abgewertet?
● Kommunikative Prozesse des Austausches zwischen Peripherie und den Zentren der Avantgarde:
– mediale und strukturelle Faktoren
– biografische Aspekte (Freundschaften und Beziehungen zwischen den Beteiligten).

Alexander Horwath / Österreichisches Filmmuseum
● Mangel und Reichtum. Die (neo-)avantgardistischen Filmkünstler/innen im Österreich der 50er und 60er Jahre konnten auf keine österreichische Filmavantgarde vor 1945 Bezug nehmen. Als Bezugspunkte kamen nur internationales Filmschaffen seit 1920 und/oder andere, nicht-filmische Avantgardeszenen in Österreich in Frage (Musik, Literatur, bildende Kunst). Gleichzeitig fand in Österreich bis 1975 keine Erneuerung des „Kino-Normalfilms“ statt (im Gegensatz zu fast allen anderen europäischen Ländern, deren Filmbranchen zwischen 1945 und 1970 jeweils ein „Neues Kino“, „Neue Wellen“ etc. hervorbrachten). In welcher Weise sind die Ästhetik, die Theorie, der kulturelle Status und die Soziologie des österreichischen Avantgardefilms von dieser doppelten Mangelsituation in seiner Umgebung bzw. Geschichte geprägt?
● Begriffsbildung und Begriffsabwehr. Weshalb firmiert das unabhängige/experimentelle Film- und Videoschaffen in Österreich bis heute unter dem Begriff „Avantgardefilm“ (auch, was zeitgenössische, teilweise digitale Arbeiten betrifft) ? Für diesen künstlerischen Arbeitsbereich sind in einigen Ländern (z.B. UK, Deutschland) und Kontexten (z.B. Bildende Kunst) andere Begriffe dominant geworden, in anderen Ländern (USA, Österreich, Frankreich) besitzt „Avantgardefilm“ hingegen bis heute Geltung. Welche „Gewinne“ bzw. „Verluste“ gehen mit der Weiterführung des Zusatzes „Avantgarde-“ einher?
● Anomalie oder „Normalzustand“. Hat der Avantgardefilm in Österreich (1955–70) eine „motorisierende“, die anderen Disziplinen theoretisch und praktisch befruchtende Funktion, die in ihrer Bedeutung über die Rolle des Films in anderen Ländern/Szenen hinausgeht? Anders gefragt: Nehmen literarische, bildkünstlerische, musikalische Entwicklungen oder Positionen in Österreich stärker Bezug auf Film als dies anderswo geschieht?
● Welche Prozesse führten dazu, dass der österreichische Avantgardefilm in der heimischen Film- und Medienkultur eine deutlich größere Aufmerksamkeit genießt als dies bei den Filmavantgarden anderer Länder (in deren jeweiliger Film- und Medienkultur) der Fall ist? Und welche Prozesse führten dazu, dass in Österreich – im Gegensatz zu fast allen anderen europäischen Ländern – eine über die Jahrzehnte „ungebrochene“ Tradition des Avantgardefilms existiert (d.h. ohne zeitliche „Lücken der Unproduktivität/Unsichtbarkeit“) ?